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Sektion Biographieforschung: Othering im Forschungsprozess – Post- und Dekoloniale Perspektiven der Migrationsforschung
Sektion Biographieforschung
Organisator_innen: Tina Spies (Darmstadt), Elisabeth Tuider (Kassel), Hella von Unger (München), Irini Siouti (Frankfurt am Main)
Ort: Großer Rosensaal, Fürstengraben 27, 07743 Jena
In der Veranstaltung der Sektion Biographieforschung steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Erforschung von Migration und Flucht mit hegemonialen Praktiken des Otherings verwoben ist. Kritische, post- und dekoloniale Perspektiven machen seit geraumer Zeit darauf aufmerksam, dass stigmatisierende Konstruktionen von anderen (und damit verbundene Konstruktionen eines „Selbst“ / „Wir“) nicht nur Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analysen sind, sondern auch in Forschungsprozessen reproduziert werden. Die Sektionsveranstaltung fragt daher (selbst-) kritisch nach „Othering im Forschungsprozess“ und bezieht sich dabei insbesondere auf post- und dekoloniale Perspektiven. Es geht um das Infragestellen von methodologischen Vorannahmen wie dem „methodologischen Nationalismus“, der nationalstaatliche Grenzen, Kategorien und Territorien als natürliche Untersuchungseinheiten unreflektiert übernimmt, aber auch von weiteren Verwicklungen in gesellschaftliche Machtpraxen und deren Einfluss auf die Forschungspraxis. Diskutiert werden sollen darüber hinaus die Positionierungen der Forschenden (z. B. als activists, als Wissenschaftler_innen), die Gestaltung von Forschungsbeziehungen und – ganz generell – die Bedeutung von Forschung für Gesellschaften der Zukunft.
Beiträge:
- Erol Yildiz (Innsbruck, AT): Methodologische Implikationen einer postmigrantischen Lesart
- Hella von Unger (München): „Othering“ und „benevolent othering“ – theoretische Konzepte und empirische Praxis
- Tina Spies (Darmstadt): Kontextualisierung und Reflexivität im Forschungsprozess
- Irini Siouti (Frankfurt am Main): Othering in der qualitativen Migrationsforschung: Herausforderungen und Reflexionen in der Forschungspraxis
- Olaf Tietje (Kassel), Elisabeth Tuider (Kassel): Mapping Situations: Abwesenheit und Othering
- Dimitra Kostimpas (München): Verandernde Kategorisierungen im Feld – Erkenntnispotentiale von Reflexivität
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Sektion Frauen- und Geschlechterforschung: Queere Zukünfte. Öffnung und Schließung von Möglichkeits(t)räumen
Sektion Frauen- und Geschlechterforschung
Organisator_innen: Folke Brodersen (Berlin), Joris A. Gregor (Jena), Michaela Müller (Gießen), Andrea Nachtigall (Jena)
Raum: SR 384
Innerhalb posttraditionaler Gesellschaftsordnungen finden sich vielfältige Ambivalenzen einer These der Freiheit: Individuelle wie strukturelle Freiheitsgewinne und Freisetzungen stehen verlockende aber gebrochene Versprechungen, neue Anforderungen und im Namen der Freiheit reaktualisierte kapitalistische, heteronormative, rassifizierende und / oder klassenförmige Demarkationslinien und Vereinnahmungen gegenüber. Angesichts der verwirrenden Gleichzeitigkeit aus Diagnosen der Öffnung und Schließung, faktischen Potentialen und beobachtbaren, fühl- und spürbaren Verschärfungen gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen zeigen sich derzeit ebenso vielgestaltige Zukunftsentwürfe, utopistische Praktiken und Versuche politischer Gestaltung. Wurden diese schon teilweise in Bezug zu Geschlechterordnungen wie männlicher Erwerbsarbeit und der antimuslimischen, rassifizierenden Zuschreibung eines Verhaftetseins in der Vor-/ Anti-Moderne analysiert, steht eine Betrachtung der Queerness dieser Zukunftsbeziehungen noch aus. Die Session „Queere Zukünfte. Öffnung und Schließung von Möglichkeits(t)räumen“ nimmt diese Fragestellung auf. Sie bearbeitet die Queerness gegenwärtiger Utopien und Dystopien, sucht nach möglichen queeren Zukunftsvisionen auf Basis verschiedener Zeitdiagnosen, betrachtet die in praktischen Zusammenhängen entstehenden und umgesetzten Zukunftsbezüge und fragt nach den politischen wie analytischen Grundlagen der gegenwärtigen Arbeit an queeren Zukünften.
Beiträge:
- Luki Sarah Schmitz (Frankfurt am Main): Pose als Ausdruck nicht-hegemonialer Geschichtsschreibung und Anknüpfungspunkt für queere Zukünfte
- Corinna Schmechel (München): Ambivalenzen der Arbeit an Körper und Selbst. Eine ethnografische Untersuchung im Kontext queerer Fitnessgruppen
- Jennifer Stoll (Kassel): Becoming trans* parents: Zu den (Un-)Möglichkeiten von Elternschaft, Familie und Verwandtschaft jenseits cis-heteronormativer Modelle
- Julia Wustmann (Dortmund), Babette Kirchner (Dortmund): Visual Kei als eine gegenwärtige Vision queerer Zukünfte? Von Jugendszenen als posttraditionaler Vergemeinschaftungsform
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Sektion Jugendsoziologie: Transformationen der Jugend – Jugend als Transformator
Sektion Jugendsoziologie
Organisator_innen: Paul Eisewicht (Dortmund), Anja Schierbaum (Köln)
Raum: SR 385
Das Phänomen Jugend ist in seiner soziohistorischen Verfasstheit einerseits ein Produkt gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse – u. a. der Etablierung und Ausdifferenzierung organisational geordneter (Aus-) Bildung, der Ausformulierung pädagogischer Konzepte im Umgang mit Jugendlichen und der Durchsetzung einer Massenkonsumkultur. Dabei unterliegt die Lebensphase Jugend einem beständigen Wandel – u. a. der Pluralisierung und Mediatisierung von Jugendkulturen oder den Auswirkungen sozioökonomischer Prekarisierung und sozialer Minorisierung. Jugend scheint dergestalt als ‚Seismograph der Moderne‘, anhand dessen sich deutlicher verstehen lässt, welche Konsequenzen gesellschaftliche Transformationen mit sich führen.
Jugendliche sind andererseits auch Produzenten sozialen Wandels, die gesellschaftliche Zustände begreifen, dementsprechend oder dagegen Umgangsweisen mit den alltagsweltlichen Handlungsproblemen des Lebens in der Moderne entwerfen und die darüber gesellschaftliche Probleme artikulieren und mitverhandeln. Jugend, genauer jugendliche Gesellungen sind dergestalt auch ‚Laboratorien der Moderne‘. In der Jugend, bzw. von Jugendlichen adaptierte und entworfene Umgangsweisen sind dabei durchaus weitreichend – nicht nur in der lebensstilistischen ‚Verjugendlichung‘ der Gesellschaft, sondern auch hinsichtlich sozial- und umweltpolitischer Bewegungen und wirtschaftlich relevanter medientechnischer Entwicklungen. Es scheint aber noch wenig erforscht, wie weitreichend der Einfluss Jugendlicher bzw. was mitunter das spezifisch ‚jugendliche‘ einflussreicher junger Akteure ist.
Beiträge:
- Paul Eisewicht (Dortmund), Anja Schierbaum (Köln): Eröffnung und thematische Einführung
- Ingmar Mundt (Heidelberg): Polarisierte Zukünfte: Zukunftsnarrative und Selbstverständnisse junger Menschen in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung und permanenter Krisenwahrnehmung
- Andreas Fischer (Erlangen): Transformierte Adoleszenz – Transformierte Arbeitsorientierungen
- Daniel Ganzert (Duisburg-Essen): Repräsentationspolitik in Communities of Practice. Jugendkulturelle Transformationspraktiken in marginalisierten Stadtteilen Deutschlands und Italiens
- Hanna Haag (Hamburg): Intergenerationalität als Motor gesellschaftlichen Wandels? Wissensdynamiken im familiären Diskurs
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Sektion Rechtssoziologie: Die Konstruktion der Zukunft im Recht
Sektion Rechtssoziologie
Organisator_in: Doris Schweitzer (Gießen)
Raum: UHG (Fürstengraben 1), HS 250
Das Recht kennt verschiedene Zeitbezüge. So wird etwa die Vergangenheit aktualisiert, wenn es abgeschlossene Tatbestände behandelt. Zugleich dient das Recht der Erwartungssicherung, wodurch die Gegenwart vor der Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung gesichert wird. In der Umstellung von Gefahrenabwehr auf Risikovorsorge kommt aber auch ein anderer Modus zum Tragen: die Zukunft wird vergegenwärtigt. Hierfür kann man sicherlich auf zahlreiche Untersuchungen der Entwicklungen im Straf- und v.a. Polizeirecht aus dem Bereich der security studies verweisen, die auf die strukturbildende Funktion des Präventionsgedankens verweisen (und der nicht zuletzt paradigmatisch in der „drohenden Gefahr“ im bayerischen Polizeigesetz zum Ausdruck kommt; zu verweisen wäre aber auch auf die Debatten um das „lernende Recht“). Ein solcher veränderter Zeitbezug des Rechts in der Konstruktion des Zukünftigen lässt aber auch in anderen, in der Forschung weniger prominenten Bereichen feststellen: So kann man die Entwicklungen des Umweltschutzgedankens im Rechts anführen (sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene, Stichwort Klimaschutzabkommen), oder auf die Rolle der Kategorie der Nachhaltigkeit im Verwaltungshandeln verweisen (wenn etwa Verwaltungsentscheidungen für mehrere „Millionen Jahre“ Sorge tragen müssen, vgl. §§22f. Standortauswahlgesetz). Und u. U. lässt sich dieser Wandel auch auf der Ebene der juristischen Selbstreflexion erkennen, wenn etwa die neue Verwaltungsrechtswissenschaft sich als „Steuerungswissenschaft“ versteht.
Handelt es sich hier um punktuelle Beispiele aus dem Recht, in denen die Zukunft je spezifisch vergegenwärtigt wird, oder kann man eine weitergehende Transformation dahingehend erkennen, dass nun nicht mehr die Gegenwart vor der Zukunft gesichert wird, sondern die Zukunft vor einer drohenden Gegenwart? Im Panel soll dieser These anhand von konkreten Beispielen im Recht nachgegangen werden.
Beiträge:
- Andrea Kretschmann (Berlin): Fiktionalität im Recht. Logiken des Antiterrorismus in der Kontrolle zivilgesellschaftlichen Engagements
- Birgit Apitzsch (Göttingen), Berthold Vogel (Göttingen): Zwischen Einzelfallentscheidung und gesellschaftlicher Verantwortung: Gestaltungsansprüche und Zukunftsbezüge in der justizjuristischen Praxis
- Michael Goldhammer (Bayreuth/Tübingen): Die unechte Prognose im Öffentlichen Recht
- Markus Rudolfi (Bochum): Verstetigtes Provisorium: Experimentalisierte Nachhaltigkeit im Baurecht
- Felix Ekardt (Rostock): Intertemporaler Menschenrechtsschutz: Klimaklage vor dem BVerfG
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AG Soziologiegeschichte: 1989 – Soziologiegeschichte einer Wendezeit
AG Soziologiegeschichte
Organisator_innen: Stephan Moebius (Graz, AT), Andrea Ploder (Siegen), Nicole Holzhauser (Braunschweig)
Raum: SR 308
1989 war nicht nur auf globalpolitischer Ebene eine Wende-, Transformations-, und Umbruchszeit, sondern wirkte sich auch auf die Sozialwissenschaften aus. Die Umbruchsprozesse nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ergriffen, wenig verwunderlich, auch die Soziologie. Niemand hatte diese gesellschaftlichen Dynamiken prognostiziert, was viele im Nachhinein als beschämend für die Disziplin empfanden. Angestoßen durch den unvorhergesehenen gesellschaftlichen Wandel machten sich in den Sozialwissenschaften schnell neue Impulse bemerkbar. In (West-)Deutschland setzte zügig die soziologische Transformationsforschung ein, es wurde u. a. ein Schwerpunktprogramm der DFG ins Leben gerufen und die Modernisierungstheorie erlebte einen (wenn auch kurzfristigen) Boom. Mitunter wurde dies als „forschende ›Aneignung‹“ (Rehberg) Ostdeutschlands empfunden, die mit der Wahrnehmung einer institutionellen Kolonialisierung der Soziologie einherging. Das soziologische Feld veränderte sich aber nicht nur institutionell, sondern auch in Bezug auf die Theorienlandschaft. Die Diskussionen um die beiden Großtheorien von Habermas und Luhmann der 1980er Jahre ebbten zugunsten einer Vielfalt von speziellen Soziologien, der Theorie der Reflexiven Moderne oder – im Zuge des Ausbleibens der versprochenen „blühenden Landschaften“ – Prekaritäts- und Exklusionsdebatten ab.
Die AG Soziologiegeschichte lädt zu Vorträgen ein, die sich mit der Geschichte der Soziologie um 1989 befassen – in Deutschland und darüber hinaus.
Beiträge:
- Katharina Lenski (Jena): DDR-Soziologie als Geschichte
- Stephan Moebius (Graz, AT): Soziologische Wendezeiten: Die Transformationen des soziologischen Feldes in Deutschland seit den 1980er Jahren
- Tanja Paulitz (Darmstadt): Theoriepolitische Sondierungen zum Gender Turn in der feministischen Soziologie
- Karl-Siegbert Rehberg (Dresden): Soziologie nach der „Wende“ – eine neue Disziplin?
- Angelika Schwarz (München): 1989 – Eine soziologische Chronik der Gefühle
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Sektion Arbeits- und Industriesoziologie: (Wessen) Utopien oder Dystopien der Arbeit? Akteure, Interessen und Effekte von Zukunftsdiskursen auf die Gestaltung von Arbeit heute
Sektion Arbeits- und Industriesoziologie
Organisator_innen: Martin Krzywdzinski (Berlin), Sabine Pfeiffer (Nürnberg), Mascha Will-Zocholl (Wiesbaden)
Raum: SR 316
Selten hat unsere Gesellschaft so stark und lebendig über den technischen Wandel von Arbeit diskutiert wie aktuell. Im Vergleich zu den 1980er Jahren haben sich die Reichweite, die Taktung sowie die Einflussnahme interessengeleiteter Akteure verschärft. Im Diskurs dominiert der prognostische Blick auf das Morgen, das Hier und Heute droht als aktueller Raum der Gestaltung und Umsetzung zu verschwinden. Es kursieren Narrative über angebliche Gewinner und scheinbar längst ausgemachte Verlierer. Der Mensch wird fokussiert, zugleich werden seine Fähigkeiten als technisch ersetzbar und durch Künstliche Intelligenz überbietbar abgewertet. Beharrlich wird die Gestaltbarkeit betont, aber gleichzeitig kritische und skeptische Stimmen als ängstliche Bedenkenträger marginalisiert. Zwei Zugänge zum Thema stehen im Fokus:
- Der Diskurs und seine Muster: Welche Akteure bestimmen den Diskurs maßgeblich und wie prägen sie seine Dynamik? Welche Interessen verfolgen welche Akteure? Welche erwartbaren und nicht erwartbaren Interessengegensätze bzw. -übereinstimmungen lassen sich finden? Welche Wechselwirkungen zeigen sich zwischen globalen und lokalen Akteuren, Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sowie Sozialpartnern und Unternehmen?
- Wirkungen und Effekte des Diskurses auf den betrieblichen Alltag: Welche Elemente und Muster des Diskurses finden in Organisationen ihren Widerhall, welche nicht? Entstehen dabei eigenständige Narrative zur Zukunft der Arbeit? Wie tragen Akteursgruppen den Diskurs in den aktuellen betrieblichen Gestaltungsprozess? Schließlich (wie) kann dieser sich in eigenwillige Richtungen entwickeln?
Ziel ist es, sowohl empirische als auch theoretische und methodische Beiträge zum Diskurs der Zukünfte von Arbeit und deren Wirkung in den Arbeitswelten der Gegenwart miteinander ins Gespräch zu bringen.
Beiträge:
- Hajo Holst (Osnabrück), Hendrik Brunsen (Osnabrück), Yannick Kalff (Osnabrück), Nadine Kleine (Osnabrück), Steffen Niehoff (Osnabrück), Robert Sinopoli (Osnabrück): Fragmentierte Zukunft – Wie Automobilarbeiter_innen die Fabrik der Zukunft und die Zukunft der eigenen Arbeit sehen
- Martin Kuhlmann (Göttingen), Stefan Rüb (Göttingen): Wirkmächtige Diskurse in betrieblichen Auseinandersetzungen um die Digitalisierung der Arbeit
- Carolin Mauritz (Frankfurt am Main): „Stütze des aktivierenden Sozialstaats“ oder „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“? Dystopische und utopische Diskurse um Freiwilligenarbeit
- Johannes Katzan (Frankfurt am Main), Moritz Niehaus (Frankfurt am Main): Ein bisschen mehr Maschinenstürmerei wagen? Digitalisierung im betrieblichen und gewerkschaftlichen Diskurs
- Hartmut Hirsch-Kreinsen (Dortmund): Digitalisierung als „Promising Technology“ – Zur Genese des Diskurses über Digitalisierung und Arbeit
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Sektion Europasoziologie: Wachstumsmotor Europa – Utopie, Segen oder Fluch?
Sektion Europasoziologie
Organisator_innen: Stefanie Börner (Magdeburg), Sebastian Büttner (Erlangen)
Raum: SR 314
Der Prozess der europäischen Integration hat die wirtschaftliche Entwicklung Europas und die Transformation der europäischen Gesellschaften in den vergangenen Jahrzehnten ganz entscheidend mitgeprägt. Die Schaffung der Europäischen Union (EU) hat nicht nur neue Regierungsformen und eine neue transnationale soziale Ordnung hervorgebracht, sondern auch neue Interessenkonflikte, soziale Ungleichheiten und Verteilungskämpfe. Die unzähligen Narrationen über Europa und die EU spiegeln diese Vielfalt, Brüche und Krisen wider. Während die einen Europa als Sonderform der Globalisierung und als einen begrüßenswerten Wachstums- und Entwicklungsmotor betrachten, stellt die EU mit ihren liberalen Skripten für andere eher einen souveränitäts-, identitäts- und wirtschaftspolitischen Brandbeschleuniger dar. Auch die jüngsten politischen Verwerfungen im Inneren und an den Außengrenzen der EU verdeutlichen die Widersprüche und Spannung, die der Prozess der europäischen Integration hervorbringt. Vor diesem Hintergrund stellt das Panel die Frage, in welche Richtung diese Entwicklungen weisen und inwieweit die EU in der Lage ist, die großen Transformationen Europas zu bewältigen:
- Welche gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen und utopischen Gesellschaftsentwürfe begleiten den Prozess der Europäischen Integration?
- Inwiefern haben die jüngsten Krisen die Europa-Diskurse verändert?
- Welche Erneuerungspotenziale und Zukunftsentwürfe lassen sich im Hinblick auf Europa heute ausmachen?
- Welche Deutungsangebote und Vorschläge zur Bewältigung der großen Zukunftsfragen macht die EU und welche Gesellschaftsentwürfe verbinden sich damit (gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeit, transnationale Solidarität, Postwachstum)?
Beiträge:
- Christian Lahusen (Siegen): Gespaltenes Europa: politischer Unmut und soziale Ungleichheiten
- Manuela Boatcă (Freiburg im Breisgau): Ungleiche Europas – von den Grenzen aus gedacht
- Helmut Fehr (Erlangen): „Starker“ Staat und „starke“ Nation. Nationalismus als Transformationsideologie in Ost-Europa
- Sebastian Büttner (Erlangen), Vincent Gengnagel (Berlin): Die imaginierte Transformation Europas: Zur Rolle des Utopischen in der europäischen Förderpolitik
- Andreas Langenohl (Gießen): Valorisierung und Krisen von Austausch in Europa: Das Beispiel von Städtepartnerschaften
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Sektion Land-, Agrar- und Ernährungssoziologie: Landwirtschaft und Ernährung als Spiegel von (Postwachstums)gesellschaften: Potenziale, Widersprüche, Interventionen
Sektion: Land-, Agrar- und Ernährungssoziologie
Organisator_innen und Diskutant_innen: Jana Rückert-John (Fulda), Nils Schweers (Fulda), Carla Wember (Fulda)
Raum: SR 208
Das Thema Ernährung betrifft uns alltäglich, vermag unterschiedliche Anliegen zu-sammenzubringen und bietet dabei niedrigschwellige Zugänge, die eigene Position in der Gesellschaft zu betrachten. Der Sektionsveranstaltung liegt die These zugrunde, dass über die Betrachtung und kritische Hinterfragung von Ernährungspraktiken und -diskursen Erkenntnisse über Konturen und Herausforderungen von Postwachstumsgesellschaften gewonnen werden können, denn „Gesellschaften sind so, wie sie essen“. Der Fokus darauf, wie Ernährung organisiert und strukturiert wird, kann Einblicke in Gesellschaft ermög-lichen, in die sie eingebunden ist. Dabei zeigen sich neben und im transformativen Potenzial von Ernährungspraktiken und -diskursen auch Widersprüche, Herausforderungen und Risiken.
Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Rolle der Wissenschaft in Transformations-prozessen definieren. Um bestehenden sozialen Ungleichheiten entgegen zu wirken, bedarf es einer Soziologie, die reflexiv begleitet und soziale Praktiken in gesellschaftliche Zusammenhänge einordnet und diskutiert. Die Sektionsveranstaltung soll einen Raum bieten, unterschiedliche Forschungen zu Landwirtschaft und Ernährung hinsichtlich (1) ihrer Befunde zum Transformationspotential von Postwachstumsgesellschaften, (2) den darin liegenden Widersprüchen und Risiken sowie (3) der Rolle von Wissenschaft zu diskutieren.
Dazu wird zunächst vor dem Hintergrund der Arbeit der Sektion Land-, Agrar- und Ernäh-rungssoziologie das Themenfeld eröffnet und eingeleitet (Jana Rückert-John). Danach werden zwei Aspekte anhand von Vorträgen vertieft – Organisationsformen gemeinwohl-orientierter und gemeinschaftlicher Landwirtschaft (Carla Wember) sowie Responsibili-sierungsprozesse beim Thema Fleischverzicht (Nils Schweers). Diese sollen Diskussions-grundlagen bieten, um über Transformationspotenzial, Widersprüche und Interventionen ins Gespräch zu kommen.
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Sektion Medien- und Kommunikationssoziologie und Sektion Migration und ethnische Minderheiten: Medien und Migration: Eine aktuelle Bestandsaufnahme
Sektionen Medien- und Kommunikationssoziologie & Migration und ethnische Minderheiten
Organisator_innen: Udo Göttlich (Friedrichshafen), Elisabeth Schilling (Bielefeld), Mathias Bös (Hannover)
Raum: SR 317
„Arbeitsmigranten, Kriegsflüchtlinge, Fachkräfte, Investoren“ sind gängige Topoi medialer Bilder von mobilen Menschen und über mobile Menschen. Sie repräsentieren die Ambivalenzen globaler Repulsivitäts- und Attraktivitätsdynamiken in Zeiten der Transformationen. Die Sektionssitzung widmet sich zunächst vor allem dem Stellenwert deutscher und internationaler Medien für Inhalte, Produktion, Nutzung und Verbreitung von Bildern über die Transformationen des Fremden und Eigenen, des Gefährlichen und des Nützlichen in den aktuellen Debatten um die Mobilität von Menschen. Dabei wollen wir nicht nur danach fragen, welche Bilder z. B. des „Kriegsflüchtlings“, bzw. welche Bilder von Flüchtlingen und Migranten in Presse, Rundfunk und Fernsehen bis zu den sogenannten sozialen Medien gezeichnet und verbreitet wurden. Darüber hinaus werden wir uns auch mit der Rolle der Medien im Wanderungsprozess selbst befassen und sowohl nach der Bedeutung der Medien in Bezug auf die Beschreibung von Mobilität und Migrationsgesellschaft fragen, als auch die Rolle der Medien für die Einbindung mobiler Menschen in unterschiedliche transnationale Medienkulturen thematisieren. Die übergeordnete Fragestellung der Sektionssitzung ordnet sich der im Themenpapier zur Regionalkonferenz angesprochenen Fragestellung unter, ob und wie im Kontext unterschiedlicher Medien und Medienkulturen die Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen globaler und transnationaler Dynamiken sichtbar und gestaltet wird.
Beiträge:
- Leandro Raszkewicz (Dresden): Die Figur der „Wirtschaftsflüchtlinge“. Mediale Darstellungen von geflüchteten Personen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ in der deutschen Qualitätspresse am Beispiel der Berichterstattung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel im Zeitraum 2014-2016
- Martin Seeliger (Flensburg): „Wer mir Befehle gibt? Nur meine Eier!“ – Ungleichheit und Konflikt in Einwanderungsgesellschaften am Beispiel von ‚4 Blocks‘ und ‚Dogs of Berlin‘
- Christina Schachtner (Klagenfurt): Transnationale Räume und skopische Medien. Sozialität im Wandel
- Heike Greschke (Dresden): „Bleibeperspektive“ – Mediatisierungstheoretische Überlegungen zu Integration im Kontext transstaatlicher Familienorganisation
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Sektion Politische Soziologie: Modelle Radikaler Demokratie
Sektion Politische Soziologie
Organisator_innen: Ulf Bohmann (Chemnitz/Jena), Paul Sörensen (Augsburg)
Raum: SR 206
In der Konjunktur der Postdemokratiethese kreuzen sich zwei Diskurse: Die inhärente Krisenhaftigkeit (oder gar der Verfall) der liberalen Demokratie in wohlhabenden ‚westlich‘-kapitalistischen Gesellschaften, und der in gewissem Sinne gegenläufige Ruf nach einer anderen, tieferen oder eben ursprünglichen Demokratie: der Radikalen Demokratie. Es nimmt mithin nicht Wunder, dass dabei nur allzu oft die identischen Referenzautor*innen angeführt und diskutiert werden. Die vornehmlich postmarxistischen (und disziplinär meist philosophischen) Protagonist*innen dienen dabei als anregende, originelle und provokante Stichwortgeber. Sehr unterschiedlich ausgerichtete Alternativen finden sich aber auch in der Theoretisierung politischer Gemeinschaften, die nach maximaler kollektiver Autonomie in Bezug auf ihr Zusammenleben und ihre Lebensgrundlagen streben – gerade im Postwachstumskontext werden gegenwärtig derart geartete Ansätze heiß diskutiert und dürfen als hochgradig umstritten gelten. Was jenseits von verdienstvollen exegetischen Bemühungen, philosophischer Elaborationen oder auch politisch-diskursiven Interventionen deutlich zu kurz gekommen ist, ist der Fokus auf institutionelle Umsetzungen, mithin auf die Betrachtung, Entwicklung oder Kritik praktischer Modelle. Das Panel soll somit theoretische Modellierungen wie auch empirische Fallstudien, durchkomponierte Idealtypen wie auch Realisierungsversuche und Transformationspotentiale versammeln und vergleichend begutachten.
Beiträge:
- Malte Miram (Bonn): Soziale und politische Institutionen in der radikalen Demokratie
- Phillipp Wolfesberger (Mexiko-Stadt, MX): Radikale Demokratie und Kommunalität. Praktische Gestaltung von solidarischer Macht in Lateinamerika
- Andreas Busen (Hamburg): Solidarität – Ein vernachlässigtes Moment radikaldemokratischer Praxis?
- Gisela Mackenroth (Tübingen): Demokratische Teilhabe als Erkenntnisposition. Wissensproduktionen in radikaldemokratischen Aneignungen von Stadt
- Thomas Linpinsel (Gießen): Jacques Rancière und die Störung als Praxis der Theorie
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Sektion Religionssoziologie: Religion in „The Great Transformation“: Entzauberung, treibende Kraft und kritische Reflexionsinstanz
Sektion Religionssoziologie
Organisator_innen: Marc Breuer (Paderborn), Jens Köhrsen (Basel, CH), Kornelia Sammet (Leipzig), Heidemarie Winkel (Bielefeld)
Raum: UHG (Fürstengraben 1), HS 144
Das Panel basiert auf der Annahme, dass die Große Transformation und ihre gegenwärtigen Weiterentwicklungen in verschiedener Hinsicht eng mit religiösen Dynamiken verbunden sind. Religion ist also eine integrale Dimension wirtschaftlicher und sozio-politischer Prozesse. Dies bezieht sich gleichermaßen auf soziale, kulturelle, ökologische, ökonomische, technologische und politische Implikationen moderner kapitalistischer Gesellschaften. In diesem Sinne fokussiert das Forum „Religion in The Great Transformation“ zum einen auf Transformationsprozesse in religiösen Feldern, ob auf lokaler oder globaler Ebene, die sich in neuen Organisationsformen, institutionellen Mustern und Wissensformen manifestieren. Zum anderen geht es darum, wie sich Religionen zu den tiefgreifenden Umbrüchen verhalten.
Religion wird damit als Spiegel, Medium und Kontrasthorizont sozialer Transformationen in den Blick genommen. Das heißt: Religion lässt sich – vor dem Hintergrund des globalen Kapitalismus und darauf bezogener vielfältiger Spannungsverhältnisse – einerseits als treibende Kraft gesellschaftlichen Wandels und Referenzgröße der Entwicklung neuer, auch politischer Visionen von Gesellschaft sehen. Andererseits beziehen sich religiöse Akteure auch immer wieder kritisch auf die Große Transformation, d.h. Religion kann selbst zu einer Reflexionsinstanz und zum Kontrasthorizont werden.
Das Panel versteht Religion als integrale Dimension ökonomischer, kultureller und sozio-politischer Prozesse und untersucht Religion als Spiegel, Medium und Kontrasthorizont sozialer Transformationen.
Beiträge:
- Hartmann Tyrell (Bielefeld): Entzauberung und Säkularisierung. Begriffsgeschichtliche und systematische Anmerkungen zu Max Weber
- Jens Köhrsen (Basel, CH): Max Weber 2.0: Prosperity Gospel als Kapitalismusbeschleuniger im Globalen Süden?
- Heidemarie Winkel (Bielefeld): Religion als Reflexionsinstanz der Großen Transformation. Kontextuelle Theologien als postkolonialer Code der Kritik
- Annette Schnabel (Düsseldorf): Religion und Nation als globale Felder der Differenz
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Sektion Wirtschaftssoziologie: Umarmte Gegenbewegungen: Zur Rolle der Kapitalismuskritik für den Wandel von Marktgesellschaften
Sektion Wirtschaftssoziologie
Organisator_innen: Sascha Münnich (Göttingen), Lisa Knoll (Hamburg/ Halle-Wittenberg), Klaus Kraemer (Graz)
Raum: SR 306
In dieser Veranstaltung wollen wir empirische Forschung und theoretische Überlegungen für eine Re-Konzeptualisierung des Verhältnisses von kapitalistischen Ökonomien und ihrer gesellschaftlichen Kritik und Legitimität zusammentragen. Karl Polanyi hat in der „Great Transformation“ im Hinblick auf die Rolle von Gegenbewegungen für die institutionelle Fortentwicklung kapitalistischer Gesellschaften argumentiert, dass die gesellschaftliche Kritik am Kapitalismus als ein immanenter Erklärungsfaktor in die sozialwissenschaftliche Analyse der Dynamik von kapitalistischen Gesellschaften einbezogen werden sollte.
In Anknüpfung daran ist unser Ausgangspunkt, dass die institutionelle Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften in einem fundamentaleren Sinne durch gesellschaftliche Konflikte um die Legitimität der bestehenden Wirtschaftsordnung angetrieben wird, als die sozialwissenschaftliche Kapitalismusforschung dies bisher annimmt. Empirische Legitimitätsforschung sollte nicht dabei stehen bleiben, so die Überlegung, welche Gruppen oder Individuen zu einem bestimmten Zeitpunkt die jeweilige Wirtschaftsordnung für legitim halten oder kritisieren, sondern diese Konflikte als Teil der sozioökonomischen und institutionellen Prozesse von Vermarktlichung, Flexibilisierung oder auch Finanzialisierung selbst erforschen.
Es geht also um solche empirischen und theoretischen Beiträge zur Dynamik wirtschaftlicher Felder, Märkte oder Organisationen, die sich an der Polanyischen Forderung orientieren, die „permanente Selbstreparatur des Kapitalismus“ analytisch in die Analysen einbezieht. Insbesondere stehen solche Momente im Zentrum unseres Interesses, in denen gerade die öffentliche oder politische Kritik an kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen oder auch nur einzelnen „Auswüchsen“ ökonomischen Handelns ihrerseits zur Grundlage neuer ökonomischer Dynamiken, neuer Märkte und / oder Produktionsformen wird.
Beiträge:
- Esra Erdem (Berlin): Über die Politik der Repräsentation postkapitalistischer Differenz
- Gregor Kungl (Stuttgart): Zur Absorption ökologischer Kapitalismuskritik in der deutschen Energiewende
- Pierre-Louis Choquet (Cergy Pontoise, FR): Performing seriousness in a context of organizational and technological lock-in: tales of responsiveness to climate change in the oil & gas industry
- Lisa Knoll (Hamburg), Eve Chiapello (Paris, FR): Social Impact Bonds, Wohlfahrtskonventionen und die Umarmung der Kritik
- Mechthild Bock (Berlin): Wer umarmt wen? Kapitalismus(kritik) und Grundeinkommen